Pandemie und SoLawi

von Lorenz Glatz sen.

Über den Zusammenhang von industrieller Landwirtschaft und Seuchen wie Covid-19 und wie Solidarische Landwirtschaft dagegen agieren kann.

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Covid-19: „Krieg“ und „Wiederaufbau“?

Die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO vor der Pandemie von Covid-19 haben spontan auch ein gutes Echo gefunden. Fürsorglicher und vorsichtiger Umgang mit den Gefahren der Ansteckung und nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft sind vielerorts aufgekeimt, Netzwerke der Hilfe sind hier und da aus dem Boden gesprossen. Beim „Lockdown“ eines Großteils der „Wirtschaft“ verbreitet sich – als Kollateralnutzen sozusagen – eine Ahnung davon, wie viel von unserem Arbeiten und Konsumieren einem guten Leben eigentlich gar nicht zuträglich und durchaus entbehrlich ist. Und was wir Feines tun können, wenn uns auf einmal Zeit dafür und für einander bleibt. Auch die Natur atmet auf, wenn Verkehr und Produktion sich so spürbar reduzieren.

Die meisten Staaten des globalen Nordens haben in einer bemerkenswerten Abkehr von der neoliberalen Dogmatik reagiert: „Gemeinsam schaffen wird das“, „Wir halten zusammen“, „Wir werden niemanden zurücklassen, koste es, was es wolle“, lauteten z.B. hierzulande die Parolen, und tatsächlich wurden beträchtliche Geldsummen auch unter die Massen verteilt. Bis zu den Massenquartieren, den Fleischfabriken, den Putzfrauen, Pflegerinnen, Saisonarbeitern, so manchen Ich-AGs u. dgl. dringt davon freilich kaum was durch. Unser Zusammenleben in und mit den Staaten bleibt weiter von Konkurrenz, Misstrauen und „Geld regiert die Welt“ noch viel mehr „durchseucht“ als von Covid-19. Auch wurden jene Parolen sehr schnell von einem anderen Ton von Gemeinschaft infiziert: „Die ganze Welt im Krieg gegen das Coronavirus“ tönte es da. In einem Krieg geht es auch für Neoliberale „gemeinsam“ gegen den Feind und stehen Disziplin und Gehorsam an erster Stelle. Hilfe und Rücksicht nehmen als staatliche „Maßnahme“ schnell bürokratisch-polizeiliche Gestalt an. Misstrauen kommt auch in den eigenen Reihen auf und der Feind Coronavirus wird rasch mit nationalistischen, fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Zuschreibungen personalisiert.

Riesensummen werden für diesen Krieg auf den mit Geld prall gefüllten, anlagehungrigen Finanzmärkten aufgenommen. Weltweit müssen die seit Jahrzehnten krankgesparten Gesundheitssysteme notdürftig ausgebaut oder überhaupt erst aufgebaut werden. Österreich war bei diesem internationalen „Sparprogramm“ ziemlich säumig, was sich als „noch ein Glück“ herausstellt. Auf jeden Fall aber sollen die vielen im „Lockdown“ stillgelegten Unternehmen – ob für ein gutes Leben sinnvoll oder nicht – möglichst noch über Wasser, d.h. am Markt und in der Konkurrenz gehalten werden. Gutes Leben, Schutz unserer Gesundheit und Lebensgrundlagen, „Arbeit“ durch sinnvolle Tätigkeit ersetzen, das alles wäre ja schön und wünschenswert. Worauf es aber in der herrschenden Wirtschaftsweise ankommt, ist etwas anderes: Wachstum, Arbeit und Konsum, müssen „wieder aufgebaut“ werden, „koste es, was es wolle“.

Ungeheure Schuldenberge türmen sich auf. Solche haben bis dato noch immer zur Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich getaugt. Das reichste Hundertstel der Haushalte in Österreich besitzt auch jetzt schon fast ein Viertel allen Vermögens, die obersten 10 Prozent haben mehr als die restlichen 90 Prozent der Bevölkerung gemeinsam (awblog.at). Weltweit besaß im Vorjahr ein knappes Prozent der Menschen fast die Hälfte der weltweiten Vermögen, vier Fünftel der Menschheit hingegen nicht einmal zwei Prozent. (de.statista.com). Das wird sich, so wie die Dinge angelegt werden, noch einmal enorm verschärfen.

Vor allem aber ist natürlich die Rede vom „Griff“, in den wir den Feind, die Seuche, kriegen müssen. Es geht um neue Medikamente und einen Impfstoff, für den „die Märkte“ und die Staaten Milliardensummen in den Wettbewerb der Pharmaindustrien pumpen. Es geht um den bestem Start bei der erhofften Heimkehr aus dem Krieg der Pandemie in den Frieden des Wiederaufbaus und erhofften Wirtschaftswachstums – und zur Bezahlung unserer „Rettung“.

Woher kommt das „neue Coronavirus“?

Abseits aller Verschwörungstheorien gilt weithin als vernünftigste Sichtweise, dass das neue Coronavirus „auf natürliche Weise aufgetreten und die Infektionen von Menschen durch natürliche Interaktion zwischen Mensch und Tier erfolgt ist“ (ein Diplomat in CNN). Geht es also um den klassischen Kampf Mensch gegen Natur, um dieser „Herr“ zu werden?

Nein. Seuchen wie Covid-19 sind so wenig bloße Naturphänomene wie der Klimawandel, das Artensterben, die fortschreitende Zerstörung des „Wildlife“ der Urwälder und der Meere, die Zerstörung der natürlichen Fruchtbarkeit der Erde durch die industrielle Landwirtschaft, die wachsende Zahl von Zoonosen (zwischen Tieren und Menschen übertragene Krankheiten) und die zunehmende Resistenz von Krankheitserregern bei Pflanzen und Tieren (einschließlich der Menschen) gegen Heilmittel. Die WHO warnt angesichts von alledem seit Jahren vor Seuchen und ihrer Wiederkehr in mutierten Formen. Covid-19 ist bloß die erste solche, die nicht nur Menschen in Gebieten des globalen Südens, sondern auch hier in den Industrieländern spürbar bedroht. Die letzte wird sie schwerlich sein.

Unsere Ernährung wird weithin beherrscht von einer globalisierten Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. Für sie ist – wie in der Marktwirtschaft überhaupt – das entscheidende Kriterium der erreichbare Maximalprofit. An ihm hängen Erfolg oder Scheitern auf dem Markt. Wenn dafür hierzulande die Hälfte aller Nahrung auf den Müll geschmissen wird, ist das ökonomisch nur ein Vorteil. Alle oben angeführten negativen Phänomene sind die Folgen davon, dass Profitabilität mit einem möglichst gesunden und guten Leben für alle nicht zusammengeht. Im Gegenteil treten die neuen Krankheiten „entlang den Kreisläufen des Kapitals“ auf. Im Falle der diversen Vogel- und Schweinegrippen brechen sie in der Massentierhaltung aus und springen auf die Arbeiterinnen und Konsumenten über. Covid-19 andererseits, Ebola, Sars und andere mehr stammen aus Gegenden, wo Landgrabbing und industrielle Landwirtschaft die Äcker von Kleinbauern und die Naturwälder in Monokultur-Plantagen verwandeln und die Menschen an den Stadtrand der Wildnis oder auf der Jagd nach einem Lebensunterhalt immer tiefer hinein in diese treiben. Die natürlichen Schranken und Einbettungen von Krankheitserregern werden von allen diesen Praktiken zerstört. Mutationen und schließlich der Übergang der Erreger auf sogenannte Nutztiere und auf Menschen werden immens erleichtert und beschleunigt. Über die Handels- und Reisenetzwerke können sich die Erreger binnen kurzem global verbreiten. Es sind „die Metropolen des globalen Kapitals, Orte wie London, New York und Hongkong“, die als eigentlicher „Krisenherd für die wichtigsten Krankheiten betrachtet werden“ müssen. (der amerikanische Evolutionsbiologe Rob Wallace: marx21.de/coronavirus-gefahren-ursachen-loesungen/; Wallace, Bergmann, Kock, & alii: sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0277953614006145).

Solidarische Selbstversorgung statt industrieller Landwirtschaft

Ich kehre zum Beginn des Textes zurück, zum Erlebnis, wie in der gegenwärtigen Krise ein vielfach bedenkenloser Konsumismus schal werden kann. Dieser hat freilich noch eine andere Seite: die unserer Verstrickung in das globale Nord-Süd-Ausbeutungsverhältnis und in die Kluft zwischen Arm und Reich, die sich in allen Ländern findet. So braucht – um bei unseren Lebensgrundlagen zu bleiben – im Durchschnitt jeder Bewohner Österreichs und Deutschlands „fürs Essen ein Feld in der Größe von 4.400 Quadratmetern – ein kleines Fußballfeld. Zwei Drittel dieses Feldes stehen im Ausland – und zwei Drittel dienen nicht dem direkten Konsum, sondern der Tierfütterung! Würden alle so essen, bräuchten wir zwei Erden – weltweit stehen einem Menschen [bei gleicher Verteilung] lediglich 2.200 Quadratmeter zur Verfügung“ (Kurt Langbeins Doku „Anders essen“: youtube.com/watch?v=N2KnqFchVcY&t=13s).

Dieses Ergebnis der industriellen Landwirtschaft bedeutet für Milliarden sogenannter Nutztiere Qual und Tod. Für die Menschheit ist daraus eine soziale und ökologische Katastrophe entstanden. Seit der Kolonialzeit wurden im größeren Teil des Planeten ganze Bevölkerungen pauperisiert, viele zu Zwangsarbeit und Sklaverei verschleppt, von ihrem Land vertrieben und dieses durch eine für die Bodenfruchtbarkeit destruktive agrochemische Plantagenwirtschaft für den weltweiten Export ausgebeutet. Dies ist zur wohl wesentlichsten Quelle des endemischen Hungers in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt geworden. Seit dem Ende der Kolonialherrschaft beruhen ähnliche Abläufe auf der (wider)willigen Kollaboration der Eliten dieser Länder, die von Geldwirtschaft und Weltmarkt abhängig geblieben sind.

Aktuell ist im Zuge der Globalisierung und Verschuldung dieser Teile der Welt eine neuerliche Welle der Landnahme (landgrabbing) durch die transnationale Agrar- und Finanzbusiness angelaufen. Diese Welle hat auch schwächere Länder des globalen Nordens (z.B. Griechenland und die Balkanstaaten) ergriffen. Kapitalisierung, Mechanisierung und massiver Einsatz von Chemie haben jedoch auch generell auf die durch die Mechanisierung stark geschrumpfte und weiter abnehmende bäuerliche Bevölkerung des kapitalistischen Zentrums durchgeschlagen. Auch sie sind in die drückende Abhängigkeit von Banken und Handelsketten geraten. Die Menschen hierzulande sind gesundheitlich weniger von Hunger als in steigendem Maß von Fehlernährung bedrängt. Diese wird von der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie aus Profitgründen verschuldet oder direkt betrieben und äußert sich vor allem bei Ärmeren in Fettleibigkeit, Diabetes, Allergien und anderen sogenannten „Zivilisationskrankheiten“, die zunehmend psychosomatische Formen annehmen.

Als Gegenkraft zu dieser Art von Produktion und Business ist vor schon über vierzig Jahren „biologische Landwirtschaft“ entstanden. Ihr Bemühen um natürliche Kreisläufe, die Verwendung natürlicher Düngung und eine ausgewogene Fruchtfolge hat gezeigt, dass die Versorgung mit gesunden und lokalen Lebensmitteln möglich ist. Dieser Anlauf ist jedoch bald zu einem großen Teil an die Grenzen der Macht und der verführerischen Zwänge von Marktwirtschaft und Agrobusiness gestoßen. Er ist ihnen erlegen, an sie angepasst und in sie einverleibt worden. Es hat sich gezeigt, dass dieser Macht und diesen Zwängen einzelne Bauernfamilien und Konsumenten auf dem Markt nicht erfolgreich widerstehen können.

Um das zu ändern, macht sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine Bewegung „solidarischer Landwirtschaft“ (SoLawi) bemerkbar. Etwa eine halbe Million Menschen in den EU-Ländern – und um etliches mehr noch anderswo – haben sich auf diesen Weg gemacht. (solawi.life/wp-content/uploads/2018/12/European-CSA-Declaration_dt.pdf) Diese Initiativen dienen jeweils der direkten (meist pflanzlichen) Versorgung einer Anzahl von (meist höchstens einigen hundert) Menschen auf kurzen Wegen und in direktem Kontakt. Die „Tauschgegner“schaft (Max Weber) des Marktes – der Käufer will wenig Geld zahlen, der Verkäufer viel bekommen – wird zurückgedrängt. Produzenten und Konsumenten tun sich auf bestimmte Zeit, meist ein Jahr, zusammen, ein beträchtlicher Kern der Mitglieder der Initiativen bleibt stabil dabei. Es gibt keinen Kilo- oder Stückpreis, sondern jede/r trägt pauschal zur Deckung der Kosten bei.

Bei vielen Initiativen geht es – oft schrittweise – weiter: Das Budget wird gemeinsam erstellt und beschlossen. Auch Investitionen sind darin explizit enthalten. Statt Bankkrediten bringen Konsumenten Geld als Vorauszahlung auf. Ein Teil von ihnen beteiligt sich, soweit gekonnt, gemocht und möglich, auch am gemeinsamen Werken auf den Feldern, bei der Verteilung, bei Organisation und Planung, bei der Öffentlichkeitsarbeit und allem, was sich sonst ergibt; vielfach ehrenamtlich, manche für einen Ernteanteil. Zahlen und Nehmen werden ein Stück weit entkoppelt – die finanziellen Beiträge werden nach den eigenen Möglichkeiten selbst eingeschätzt und so angepasst, dass in Summe das Budget gedeckt ist. Und die Entnahme ist in Grenzen frei. Jedes Mitglied nimmt, was er/sie mag und bis zum nächsten Mal braucht. Es geht in Richtung „Prosumenten“ und gemeinsamer Versorgung, zu Formen eines Commons, einer Allmende in Verein, Genossenschaft, Stiftung. Es gibt lokale Kooperationen der Initiativen, Kontakte und manche Formen des Austauschs zuweilen auch weit darüber hinaus.

Angebaut, gepflegt und verteilt wird nach ökologischen Kriterien, kleinteilig, vielfältig und sparsamst bei allem, was Müll ist. Das dient der Fruchtbarkeit und Gesundheit des Lebens im und über dem Boden und macht auch die Ernte durch ihre Vielfalt für Wetterextreme weniger empfindlich. Die auf profitorientierte Großfarmen ausgerichtete Technik soll durch intelligente, auf gesunde Wirtschaftsweise ausgerichtete Hilfsmittel, Werkzeuge und Maschinen abgelöst werden. Die SoLawi praktizieren, propagieren und verbreiten gesunde Ernährung mit dem, was lokal in großer Vielfalt in jeder Saison wächst und reift. Es soll damit Schluss sein, dass wir für unsere Ernährung in großem Stil auf Land zugreifen, das andere Menschen zum Leben brauchen.

Solidarische Landwirtschaft geht keineswegs immer glatt, sondern ist ein mitunter schwieriger Verlernprozess des Alten und einer des Lernens und Entwickelns neuer Möglichkeiten und Umgangsformen. „Gutes Essen für alle“ heißt das Ziel in der Europäischen Deklaration der SoLawi. Das ist beträchtlich anders als „Gutes Essen für den, der zahlen kann“. Und erst recht, wenn man dieses Ziel sinngemäß von Basics wie dem Essen auf anderes für ein gutes Leben Brauchbare ausdehnen will. Aber die tiefe Krise unserer Lebensweise kann auch inspirieren. Wir sollten ganz praktisch zu einander finden. Es geht weniger um Änderung des Staats als darum, sich auf den Weg zu machen: unser Leben lokal selbst gemeinsam zu organisieren und geeignete Formen globaler Kooperation aufzubauen.